Lieber Gärtnern als Schnitzen: Meine Erziehungs-Vorsätze für das neue Jahr

Schon wieder ist ein Jahr vorüber. Und wie immer ziehe ich Mama-Bilanz: Frage mich, was habe ich in dieser zähen, schnellen, nervigen, wunderbaren Zeit mit unseren Kindern halbwegs gut gemacht? Was weniger? Und was nehme ich mir für das kommende Jahr vor?

«Der Gärtner und der Schreiner»  war eines des berührendsten Bücher über Erziehung, das ich in den letzten Monaten gelesen habe. Alison Gopnik rüttelte mich auf mit ihrer Weisheit als Grossmutter und ihren Einsichten als Wissenschaftlerin aus Berkeley.

Wir würden viel zu oft versuchen, wie Schreiner zu arbeiten, unsere Kinder zurechtzuschnitzen und zu hobeln, warnt sie. Mit harter Arbeit und einer klaren Zielvorstellung, wie genau unsere Kinder am Ende unserer Erziehung herauskommen sollten.

Viel sinnvoller, so Gopnik, sei es dagegen, Elternsein wie das Schaffen eines Gärtner zu verstehen. Ein gutes Umfeld zum Wachsen zu bieten, angepasst auf die Bedürfnisse des einzelnen Kindes. Geduldig und offen zu sein, sich auf die unvorsehbare Einzigartigkeit jedes kleinen Lebens einzulassen.

Sie hat recht, denke ich. In den zähen Momenten unseres Familien-Lebens, da hatte ich eine genaue Vorstellung davon, wie meine Kinder zu sein hatten. Organisierter, leiser, besser in der Schule. Fröhlich, aber nicht zu laut. Kreativ, aber nicht zu anstrengend. Sportlich, aber nicht zu hibbelig.

Und dann fing ich mit dem Zurecht-Schnitzen meiner Kinder an: «Mach dies nicht, stattdessen das. Werde endlich anders, als Du jetzt gerade bist. Dann ich weiss ja, wie Du sein sollst». Solche Ansätze waren schmerzhaft für alle.

Aber dann gab es auch die anderen, wunderbaren  Momente, in denen Wachstum stattfand. Meine Kinder wuchsen auf ihre Weise. Ich wuchs, weil ich meine Kinder so sein lassen konnte wie sie sind. Und von dieser Zeit, dieser Haltung möchte ich mehr finden im neuen Jahr.

Ich möchte im kommenden Jahr gärtnern statt schnitzen in der Erziehung und …

  • Gute Standorte finden: Jedes meiner Kinder braucht einen anderen Platz in unserem Garten um gut zu wachsen. Die Jüngste mehr Ruhe und Rückzug, die mittlere mehr Action. Der Teenie mehr Autonomie und Flexibilität, die Kinder mehr verbindliche und vertraute Rituale. Als Gärtner kann ich herausfinden, wo jede einzelne Person blühen kann und ihnen dieses Umfeld schaffen.

 

  • Kleinen Ästen Halt geben: «Ist so’n kleines Rückrat, sieht man fast noch nicht. Darf man niemals beugen, weil es sonst zerbricht.» sang Bettina Wegner. Auch die Träume, Talente und Ziele unserer Kinder wachsen noch, müssen sich an uns Erwachsenen und unserer Lebenserfahrung festhalten können. Damit aus zarten Knospen einmal starke, belastbare Bäume werden können.

 

  • Licht und Wärme vermitteln: Jede Pflanze dreht sich zum Licht und zieht die Energie daraus zum Wachsen. Ich denke, unsere Kinder brauchen genauso ihre Quellen von Liebe, Verlässlichkeit und klaren Werten. Oft stecke ich als Mutter viel zu sehr im Machen, im Alltag-Managen fest, um mir bewusst zu werden: Einfach dasein, Licht und Wärme ausstrahlen würde reichen.

 

  • Schatten reduzieren: Es schneidet mir jedes Mal ins Herz, wenn ich unsere Kinder mickern statt wachsen sehe, dürr statt blühend. Aber mit etwas Suchen finden wir meist, woher die Schatten kommen, die gerade über ihnen liegen. Kummer in der Familie, Schule oder mit Freunden, zu hohe Ansprüche, zu wenig Leichtigkeit … Nur immer Helligkeit und Turbowachstum kann es nicht geben, für niemanden. Aber manche Schatten können wir wegnehmen.

 

  • Offen sein für Überraschungen: Draussen in unserem Garten wächst alles anders als geplant. Manches schneller, anderes viel langsamer. Zwiebeln, die ich gesetzt habe, treiben im ersten Jahr gar nicht, dafür im zweiten um so mehr. Wildkräuter siedeln sich an und sind ebenso schön wie unsere gesetzten Pflanzen. Ich wünsche mir für unsere Kinder die gleiche Gelassenheit wie beim Gärtnern: Mich an allem zu freuen, was da heranwächst. Es zu nehmen, wie es eben ist.

Kette

Ich bin gespannt, wie es wird, das neue Jahr als Mama-Gärtnerin. Ich werde mir einen kleinen Giesskannen-Anhänger an meine Kette hängen, um mich an diese Vorsätze zu erinnern und eine neue Haltung zu üben: An Gras nicht ziehen. An Ästen nicht schnitzen. Geduld haben und auf Wachstum vertrauen.

Vor allem will ich mir Zeit nehmen, unseren Familien-Garten zu geniessen. Ja, ich werkele auch draussen gern herum. Aber am allerliebsten sitze ich im Garten und freue mich über all dieses wachsende Leben. Mit meinen Kindern nehme ich mir diese  Zeit viel zu selten. Und sie ist vielleicht das Wertvollste am Elternsein. Auch einmal ohne Ansprüche, ohne Ziele, ohne fest Vorstellung – und vor allem ohne Schnitzmesser und Hobel in der Hand! – meinen Kindern beim Wachsen zusehen.

Ich wünsche Euch viel Freude beim Gärtnern, viel Wachstum und alles Gute im neuen Jahr!

Bislang ist das Buch von Alison Gopnik nur auf Englisch unter dem Titel «The gardener and the carpenter» erschienen: https://www.amazon.de/Gardener-Carpenter-Development-Relationship-Children/dp/1784704539/ref=sr_1_1?ie=UTF8&qid=1513677597&sr=8-1&keywords=gardener+and+carpenter

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