Zeit zwischen den Jahren gestalten

Wir sind schon mitten drin, in der ruhigen Zeit zwischen Weihnachten und Neujahr. Die Natur grau, kalt, leblos. Das Leben ganz zurückgezogen. Unser Festtags-Gewusel ist vorüber, das alte Jahr auch schon fast. Und das neue hat noch nicht angefangen.

Ich habe diese ruhigen Tage immer schon geliebt. Als Kind fand ich nichts schöner, als mich nach Weihnachten endlich mit Ruhe und Zeit meinen neuen Büchern und Spielsachen widmen zu können. Jetzt liebe ich es, meinen eigenen Kinder zuzusehen, wie sie zur Ruhe kommen, innnerlich und äusserlich.

Wenn es draussen erst so spät hell wird und so früh wieder dunkel, zünde ich überall im Haus kleine Kerzen an. Dann sitzen wir schon morgens im Pyjama auf dem Sofa, trinken Roibos-Tee mit Vanille, den auch die Kinder lieben, und ich lese ihnen vor. Abends sitzen wir dort wieder, lesen, erzählen, spielen, diesmal am Kamin.

Dieses Jahr habe ich eine Reihe alter Sagen und Märchen ganz neu entdeckt, die der „Rauhnächte“. Es sind die zwölf Nächte zwischen Weihnachten und dem Fest der Heiligen Drei Königen. Teils stammen sie aus vorchristlicher Zeit und zeigen, wie sehr uns Menschen diese dunkleste Zeit des Jahres schon immer beschäftigt hat.

Ees geht in diesen alten Geschichten und auch den Bräuchen der Rauhnächte um Abschied-Nehmen – vom alten Jahr. Und von allem, was wir hinter uns lassen wollen.

Im Rückzug der Natur und ihrem scheinbaren Sterben liegt eine Chance, auch in uns Überaltetes, Verdorrtes, Nicht-Lebendiges bewusst zurück zu lassen. Ich denke darüber nach, was ich gerne loswerden möchte: Beziehungen, die sich überlebt haben. Ziele, die mir nicht entsprechen. Charakterzüge in mir, die mir nicht gut tun.

Ich schreibe sie auf Zettel und werfe sie in den Kamin. Die Kinder machen begeistert mit. Bewusst Abschied-Nehmen vom alten Jahr, das leuchtet ihnen ein. Und es gibt „Kraft“, meint unsere Jüngste, einfach zu verbrennen, was wir nicht mehr herumschleppen wollen.

Andere alte Bräuche erinnern uns an den Wert, etwas zu einem Abschluss zu bringen. Früher sollte vor den Rauhnächten das ganze Haus gefegt und alle Schulden beglichen sein.

Wir entrümpeln stattdessen Kinderzimmer, packen kiloweise aussortierte Kleider, Spielsachen und Bücher für karitative Organisationen. Und arbeiten unseren Berg an Papierkram ab. So schliessen wir ab und fangen ein neues Jahr leichter an. Auch das ist ein schönes Familien-Projekt.

Vor allem aber beschäftigen sich die Märchen und Sagen der dunklen Zeit mit Leben. Leben, das unter der erstarrten Schicht an Schnee und Eis ja weitergeht und wieder knospen wird. Mit Werten, wie wir das neue Jahr gestalten können, es vielleicht zu einem guten Leben werden lassen können.

Gute Taten, Grosszügigkeit, Glauben, Ehrlichkeit, Mut. Alles grosse Wörter, die uns aber in den alten Märchen ganz natürlich erscheinen. Und die auch heute ihre Gültigkeit haben. Werte, die sich vielleicht im neuen Jahr umsetzen lassen oder zumindest Richtung geben. Was für spannende Gespräche ergeben sich mit den Kindern darüber.

Ich bin froh, auf diesen Schatz alter Weisheiten und Einsichten für die dunklen Tage gestossen zu sein. Ja, es darf auch einfach eine entspannende Zeit sein. Einfach schön, sich zwischen den Jahren zurückzuziehen und unser hyggeliges Zuhaus zu geniessen.

Aber noch freudvoller finde ich es, diese Zeit als eine ganz besondere wahrzunehmen und diese Rauhnächte bewusst zu gestalten. Das alte Jahr zu einem guten Abschluss zu bringen und zu verabschieden. Unsere Gestaltungs-Möglichkeiten im neuen Jahr zu nutzen. Und die Kraft der Natur, die ja bald wieder erwachen wird.

Frohes Neujahr!

Hier ist ein Buch, das ich sehr inspirierend fand: Wunder der Rauhnächte

2 Gedanken zu „Zeit zwischen den Jahren gestalten

  1. Heidi Kijewski

    Danke liebe Ulli für den besinnlichen Beitrag.Das hast Du sehr schön beschrieben- nur mit dem Entrümpeln bin ich noch nicht so weit😐. Liebe Grüße, Deine Mama

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