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Weihnachts-Trost

Vor drei Tagen habe ich sie beim Spazierengehen plötzlich im Raureif entdeckt: Ein Feld voller winziger Tannenbäume, in langen Reihen angepflanzt. Einige gingen mir bis zum Unterschenkel, andere überragten kaum das grüngraue strubbelige Gras um sie herum. Aber so winzig sie waren, sah man genau, was sie einmal werden würden mit ihren dunkelgrünen Ästchen, im Kreis rund um ihre daumendicken Stämme angeordnet: Weihnachtsbäume.

Als ich mit unserem Hund an dem Zaun stand, der die Bäumchen von der Kuhweide abgrenzte, spürte ich plötzlich Hoffnung. Und Trost.

Das vergangene Jahr war mit den Belastungen der Covid-Pandemie hart genug gewesen. Jetzt steht uns noch Weihnachten bevor. Die Kinder sind müde und überdreht zugleich, schlafen schlecht, machen sich Sorgen um ihre Großeltern: Was, wenn die Covid jetzt noch kurz vor der Impfung bekommen?

Und um Weihnachten: Wie soll das ohne Oma und Opa, ohne Mamie und Papy werden? Norddeutschland und die Bretagne sind viel zu weit entfernt. Weder können sie uns besuchen kommen, noch wir mal kurz und auf sichere Weise vorbeischauen. Über uns steht kein Weihnachts-Stern, sondern eine düstere Befürchtung, die keiner aussprechen will: Und wenn wir sie gar nicht wiedersehen?

Und wo soll Trost herkommen, Zuversicht, dass Weihnachten trotzdem ein lichtvolles Fest werden kann? Aus der Wissenschaft, die uns bald medizinische Lösungen verspricht? Ja, aber das überzeugt mehr unseren Kopf, als dass es unser Herz berührt. Aus einer 2000 Jahre alten Begebenheit, die von Verfolgung und Armut, von Hoffnung und einem Kind in der Krippe erzählt? Ja, aber das erscheint uns im Moment wie eine Geschichte, die wir begreifen, aber nicht greifen können.

Die kleinen Bäumchen stehen im Gras, als ich um die Ecke biege, meine Stimmung so grau wie der verhangene Himmel. Hinter mir dröhnt die Hauptstrasse, unten am Hügel sehe ich nasse Pfützen auf der Kuhweide stehen. Meinem Hund spritzt der Matsch die Beine hoch. Trostlos.

Waren die schon länger da, denke ich, als ich dunkelgrünen Minibäumchen entdecke? Ich laufe doch jede Woche hier vorbei, der schnüffelnde Hund vor mir her – wieso sind die mir nie aufgefallen?

Als ich mich an den Zaun lehne, fallen Wassertropfen auf meine Schuhe. Andere hängen noch am Holz, glitzernd, fett, reif zum Runterfallen. Unser Hund schnüffelt am Boden und scheucht einen Schwarm Spatzen auf, die keckernd auffliegen und sich in die Obstbäume hinter uns flüchten. Er geht weiter zu den Kühen, die mit dickem Winterfell auf der Weide stehen. Fusselrinder nennen unsere Kinder sie.

Und da plötzlich spüre ich Trost. Die Hauptstrasse höre ich immer noch, vor allem aber die wütenden Spatzen. Das Grau hängt immer noch im Himmel, aber am Zaun hängen die Tropfen-Glitzerreihen. Der Hund ist voller Matsch, aber ein Fusselrind schnaubt ihn vertrauensvoll an und er schaut fasziniert zurück. Der Gedanke an Weihnachten, wie es dieses Jahr sein wird, macht mich noch immer traurig, aber vor mir stehen die Bäumchen und wachsen heran.

Irgendwann sind sie gross, irgendwann ist diese Pandemie vorbei. Irgendwann werden einige Bäume abgestorben sein oder viel zu krumm gewachsen, irgendwann werden wir neue Probleme haben.

Aber einige von ihnen werden starke, schöne Weihnachtsbäume. Einer vielleicht sogar der Baum, der in bei uns stehen wird. Den wir immer mit den Kindern am Heiligabend schmücken.

Einer von uns hat dann immer schlechte Laune und einer schafft es immer, eine Riesen-Schachtel mit Baum-Dekorationen umzuschmeißen. Und trotzdem ist es immer einer der schönsten Momente im Jahr. Und auf eine Weise, die wir noch nicht kennen, werden die Großeltern immer dabei sein.

Morgen überrede ich die Kinder und meinen Mann, sich matschtaugliche Schuhe anzuziehen und mit mir zu der Wiese zu gehen. Hoffentlich sind die Spatzen noch da, der Raureif, die Fusselrinder, die Glitzertropfen. Ganz sicher wachsen die Bäumchen dort weiter, unauffällig und hartnäckig. Weihnachts-Trost zum Anschauen, zum Beschnüffeln, zum Anfassen.